Saturday, 4 June 2011

SÜDSEE-IMPRESSIONEN 12.12.1978 – 13.1.1979

Suva, Fidschi, 12.12.1978

Wieder einmal bin ich unterwegs nach Tonga. Es ist eine Mission. Ich will Ruby nach Sydney holen, die jüngste Tochter meiner Frau. Der Papierkrieg für die Einwanderung nach Australien war mühsam und teuer.

Heute früh flog ich mit Quantas (Queensland and Northern Territories Air Services) von Sydney nach Nandi, dem internationalen Flugplatz von Fidschi auf der Insel Viti Levu. Nachmittags ging es mit einer Maschine der “Air Pacific” nach Nausori auf der Ostseite der gleichen Insel weiter. In dem australischen Jumbo roch es anfänglich stark nach Urin. Aber gutes Essen und Rotwein liessen es vergessen. Der lokale Flug wurde durch das Schreien von Kindern verschönt, denen das Auf und Ab unter den Gewitterwolken nicht gefiel. Einmal passierten wir im Nebel in fast greifbarer Nähe eine Bergkuppe. Wie oft schon musste ich auf Reisen meinem Schutzengel danken?! Zum Glück dauerte das Vergnügen nur eine halbe Stunde. Dann rollte die kleine Maschine sicher auf dem Flugfeld aus.


Der Bus der Fluggesellschft fuhr auf dem Weg nach Suva, der Hauptstadt, in den Sonnenuntergang hinein. Der Himmel schien zu brennen. Ich steckte die Nase aus dem Fenster und atmete tief ein. Keine Benzinabgase mehr, nur regenfeuchte Pflanzendüfte, eine Luft, die man mit Löffeln essen möchte, garniert mit Schlagsahne. Und immer schneller lief der Schweiss. Dabei sind es höchstens 32 Grad!

Im “Pacific Guest House”, wo ich wie immer unangemeldet erschien, gab es tatsächlich noch einen Raum für mich. Die Wirtin erinnerte sich an mich und gab mir ein Doppelbett. Zu Weihnachten im Jahre 1972 durchtanzte ich mit einem ihrer kraushaarigen Zimmermädchen eine Nacht so lange bis ich eine feuchte Hose hatte. Das Mädchen ist inzwischen mit einem Neuseeländer verheiratet. Ich bekam den besten Ventilator des Hauses. Auf dem Nachtisch lag die Bettlektüre: Readers Digest – “Was Männer wirklich von Liebe und Sex halten.” Die Wirtin sagte: “Ich gab Dir ein Doppelbett, damit Du…” Sie lächelt vielsagend.

Im Haus riecht es stärker nach Urin als zuvor. Ein kleines Indiz für die wirtschaftliche und politische Entwicklung nach der Unabhängigkeit? Als Afrika-Reisender kennt man die Symptome. Fidschi war eine englische Kolonie.

In der “Travellodge” wechsle ich Geld. In den Lokalen verrechnen sich die Ober gerne wenn sie australische Dollars in Fiji Dollars umrechnen müssen.

Im Chinesenlokal sind die Haifischflossen-Suppe und der Langusten-Cocktail noch immer eine Gaumenfreude. Das Fiji-Bitter und der Ventilator sorgen für innere und äussere Kühlung. Die Kellnerin versucht sich sogar an einem “Iced Tea” für mich. Sie bringt einen heissen Tee und macht ihn mit einem Eiswürfel lauwarm. Ich bedanke mich für den guten Willen. Anfänger würden fluchen.

Dann ist es Nacht. Ich kann nicht schlafen und bummle durch schwach beleuchtete Strassen, immer dicht an den Hauswänden laufend – wegen der Rückendeckung. Betrunkene Fidschis torkeln wie Schimpansen zickzack über den Gehsteig. Fragt einer nach der Uhrzeit, dann schaue ich immer erst ob er ein Messer hat bevor ich antworte. Südseeromantik will mit Vorsicht genossen sein.

Es zieht mich ins “Tropicale”. Dort tanzten im Jahre 1972 die Mädchen mit ihren kleinen braunen Rundpopos so nett auf den Tischen. Heute ist das Haus fast leer. Die Band spielt laut und aufreizend. Zwei Ober schlafen auf dem Billiardtisch – in Polsterklasse sozusagen. Die Gäste sitzen auf Plastikstühlen. Die Band spielt “La Paloma”. Ein schnauzbärtiger Inder mit Hitlerlook fordert mich zum Tanz auf. Ich zeige ihm tonganischen Tanzstil. Es erregt ihn so sehr, dass er immer näher kommt. Ich würde ihm gerne mein rechtes Knie gezielt zwischen die Beine setzen, habe aber Mitleid. Sein betrunkener Fidschi-Freund wirft eine leere Bierflasche auf den Fussboden – aus Eifersucht? Eine Bardame räumt auf. Ich spendiere Bier und Zigaretten, bekomme eine Taxifahrt mit anschliessender Beglückung angeboten. Ich antworte, dass ich mal schnell auf die Toilette muss. “Bitte verlass mich nicht”, flüstert “Adolf” mir zu. Durch eine Hintertür entfliehe ich dem warmen Lokal.

Unterwegs trete ich noch drei grosse Kakerlaken tot. Das knackt so melodisch auf den leeren Bürgersteigen. Durch die Zielübung teste ich gerne ob ich noch nüchtern bin. Das Hobby stammt aus meiner Zeit in Egypten. Ein Polizist mit Afro-Haarstil und weissem Fransenrock schaut mir gelangweilt zu. Aus allen Fenstern klingt Musik. Die Luft ist stickig-heiss und stark Vitamin-E haltig. Ich muss an den alten deutschen Spruch denken: “Die Männer auf den Fidschi-Inseln die haben Widerhaken an den Pinseln”.

Dann gibt es in Suva noch den “Golden Dragon” (Goldener Drachen). Aus den Fenstern klingt aufdringlicher Südseebeat. Ich lasse mich an einem Tisch nieder, bestelle Rum und Coke mit Eis. Der Ober ergänzt: “…und eine scharfe Puppe” (…and a randy bird). Im zuckenden Licht der Tanzfläche zeige ich meinen Ehering. “Na, das macht doch nichts” meint er. Aber er wendet sich mitleidvoll ab und bringt mir meinen Drink. Dann erscheint Akusita – mit engen Jeans und italienischem Pulli. Der Pulli hat die italienischen Nationalfarben. Im bunten Licht heben sich die Brustwarzen unter dem weissen Stoff ab. Verheissungsvoll öffnen sich die Hüften. Aber ich erzähle ihr von meiner Frau, bezahle ein Bier und die Taxifahrt nach Hause. Am Strand sitze ich anschliessend auf einer Bank, schaue in den Mond und träume. Etwas später singt der Ventilator mich in den Schlaf.
Suva, Uferpromenade
Nachwort (30.5.2011)
Den “Goldenen Drachen” gibt es noch immer. Im Internet tipp ein: GOLDEN DRAGON, SUVA, FIJI und SUCH danach. Klick auf die beiden Fotos und schau Dir die Videos an. Rechts auf dem Schirm kann man dann noch mehr Fiji-Musik miterleben. Mir kommen dabei vor Fernweh fast die Tränen. Und nun knacken die alten Gelenke.

SUVA, 13.12.1978

Beim australichen Konsulat ist der Beamte sehr höflich und bittet mich sogar in sein Büro. Lupi’s Pass wird in etwa zwei Wochen fertig sein. Tisna’s Cousin ist Sekretär des Königs von Tonga. Er hat im Hintergrund für uns an einigen Drähten gezogen. So können wir die Wartezeit getrost in Tonga verbringen.

Vorher kaufe ich noch ein. Kleidung und technische Artikel sind in Fidschi billig. Aber man muss im Umgang mit den indischen Verkäufern vorsichtig sein. Sie sind gerissene Geschäftsleute. Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist indischer Herkunft. Sie wurden einst als Plantagenarbeiter von den Engländern importiert. In dem gesunden Klima vermehrten sie sich sehr schnell, zum Leidwesen der Fidschi-Insulaner, die sich nun bevormundet und ausgebeutet vorkommen. Mangels Geschäftssinn und Ausbildung sind sie den strebsamen Indern unterlegen.

Abends mache ich es mir im Dachgarten des Suva-Hotels gemütlich. Ein Tonganer hat dort einen Tanz organisiert. Er und sein Fidschi-Freund begrüssen mich mit Handschlag. Sie sagen mir, dass sich Touristen hierher selten verirren. Sie wollen unter sich sein und mit den Einheimischen nichts zu tun haben. Als ich erwähne, dass ich mit einer Tonganerin verheiratet bin, steht der Verbrüderung nichts mehr im Wege. Das Bier fliesst reichlich. Ein Gewitterguss klatscht in die verwinkelten Strassen unter uns und auf die Wellblechdächer der ältlichen Häuser im Kolonialstil.

Mein neuer Fidschi-Bruder berät mich in Familienpolitik: “Was, Du heiratetest eine Frau mit fünf Kindern und hast noch kein eigenes?” – “Also morgen gehst Du zu einem Zauberdoktor, nicht zu einem der Geld haben will. Du erklärst ihm Dein Problem. Er wird Dir eine Handvoll Wurzeln und Kräuter geben. Daraus machst Du einen Tee. Dann wartest Du bis Deine Frau wieder ihre Periode hat. Nicht am ersten Tag, nicht am zweiten Tag, nicht am dritten. Aber dann und vor Mitternacht. Weil es vor Mitternacht ein Junge wird. Der Zauberdoktor wird Dir alles erklären.” Ich bedanke mich für den guten Rat. Und ich sage, dass ich nie ein guter Fussballer war. Deshalb schiesse ich wohl immer am Tor vorbei.  Zum Abschied muss ich als Andenken meinen Kugelschreiber herausrücken. Auf dem Griff befindet sich ein Foto von einem Mädchen, das den Bedeanzug sinken lässt. Es war ein Geschenk von Tisna zum Muttertag. Den Kugelschreiber sollte ich eigentlich dem Zauberdoktor geben, weil der kein Geld nimmt. Doch morgen bin ich ohnehin in Tonga.

Tonga, 14.12.1978

Bis zum Fuamotu-Flugplatz in Tonga fliegt man von Fidschi nur ein paar Stunden. Zur Begrüssung spielt zwar keine Polizeikapelle. Aber Tisna, ihre Schwester Kalisi und Lupi, Evelyn und Christopher sind zum Willkommen erschienen. Kalisi breitet ein Tapatuch aus Maulbeerbaumrinde auf dem Boden aus, Ersatz für einen roten Teppich. Dann begrüssen sie mich mit abgestrecktem Arm und “Heil Hitler” als den “King of Germany”. Umstehende schauen neugierig zu. Ich erkläre, dass ich diese deutschen Wörter leider nicht verstehe.

Sie begrüßte den "King of Germany"
Dann drücke ich Lupi in die Arme, die “Hallo Daddy” sagt. Der Taxifahrer beeilt sich. Durch ungezählte Schlaglöcher und Wolken aus Korallenstaub holpern wir nach Nuku’alofa, der Hauptstadt. Bei der Ankunft in Kalisi’s Haus gibt es noch einmal eine grosse Begrüssung. Nachbarn, die mich nicht einmal kennen, bringen Schalen mit frischen Früchten als Gastgeschenk. In Tonga gibt es viele Höflichkeiten dieser Art, die es verursachen, dass der Abschied immer so schwer fällt.

Insel Lifuka, Ha’apai, Weihnachten

Wir bleiben nur wenige Tage in Nuku’alofa. Uns zieht es auf Tisna’s Heimatinsel Lifuka, wo das Leben billiger und alles ursprünglicher ist als auf der Hauptinsel Tongatapu.

Vorher fliege ich noch für zwei Tage zur Insel Eua. Der Flug dauert nur sieben Minuten. Man bekommt so einen guten Blick auf die Geografie von Tongatapu und Eua. Auf Eua übernachte ich bei Doktor Pusijaki, wie sein Spitzname lautet. Grosser Luxus im Haus des Arztes: eine Badewanne mit erstklassig funktionierender Dusche. Frau Pusijaki verwöhnt mich bei Kerzenschein mit Jams, Süsskartoffeln und einem ausgewachsenen Hummer. Ich bringe als Geschenk eine Büchse Corned Beef, Moskitoringe und Streichhölzer.

Eua sieht aus wie eine Insel, die am Umkippen ist. Auf einer Seite eine beeindruckende Steilküste, die dann zur anderen Seite der Insel teilweise steil abfällt. Daneben der Tonga-Graben, eine der tiefsten Stellen im Pazifik mit mehr als 10.000 Meter Tiefe. Dort könnte man den Mount Everest versenken. Hier reiben sich zwei tektonische Erdplatten an einander und verursachen eine Menge Erdbeben. Es ist ein Teil des “Ring of Fire”. Vulkane bilden rings um den Pazifik eine oft Feuer und Asche speiende Berglandschaft. Eua ist teilweise dicht von tropischen Regenwäldern überzogen. In einem Naturreservat stehen eine Menge Sandelholzbäume. Sandelholz war zur Zeit der Segelschiffe eine begehrte Handelsware. Ich unternehme auf eigene Faust einen Marsch von etwa 25 Km entlang des Bergkammes. Die Anstrengung lohnt sich wegen der wunderschönen Natur und dem Blick auf die noch unerschlossenen Wälder am Boden der Klippen auf der Südseite der Insel. In den Dörfern sieht man Spuren von einem Erdbeben, das vor einem Jahr hier 40 Steinhäuser zerstörte. Mit Neuseelands Hilfe wurden als Ersatz Holzhäuser errichtet. Denen wird das nächste Beben weniger anhaben können.

Drei Tage vor Weihnachten fliegen wir mit den Kindern nach Ha’apai. Die Schiffsverbindungen sind zu unverlässig. Die “Olovaha”, die sonst den Fährdienst versieht, ist vor einiger Zeit mal beinahe mit Mann und Maus bei Ha’apai versunken. Jetzt wird sie auf Kosten der deutschen Bundesregierung für zwei Millionen Mark überholt. Seit dem Freundschaftsvertrag mit der Bundesrepublik hat die Hamburger Columbus-Linie den internen Schiffsverkehr in Tonga übernommen. Zwei Handelsschiffe befinden sich in Deutschland ebenfalls im Bau. Und die kleinen Personenboote, die sonst vollkommenn überladen Passagiere befördern, sollen nun endlich Schwimmwesten bekommen. Dazu trug der Untergang der “Tokumea” bei, die Ende 1977 nördlich von Vavau mit über 60 Passagieren in einem Hurrikan versank, die bisher schlimmste Schiffstragödie in Tonga. Das Schiff war überladen, hatte ein mit Tapatuch und Zement gestopftes Leck, kein Funkgerät und kaum Schwimmwesten.

Nachtrag: Am 5. August 2009 versank in Ha’apai die “Ashika”, die ein schwimmendes Wrack war. Von 128 Passagieren ertranken 74, hauptsächlich Frauen und Kinder, aber auch fünf Touristen, zwei davon ein junges deutsches Paar. Nach der Gerichtsverhandlung landeten mehre Verantwortliche im Gefängnis.

Schön ist stets der Flug nach Ha’apai, der rund 30 Minuten dauert. Die “Friendly Islands Airways” hat eine sechssitzige Maschine, die niedrig fliegt. Wie Opale liegen die Inseln mit ihren Riffen im Meer. Ich habe die Landkarte studiert und kann viele der Inseln beim Namen nennen. Wie eine grosse geöffnete Halskette winden sich die Hauptinseln der Ha’apai-Gruppe von Norden nach Süden: Haano, Foa, Nukunamo, Lifuka, Uoleva, Tatafa und Uiha.

Nachtrag: Ich war bei der Nachfolgegesellschaft “Royal Tongan Airlines” für einige Zeit der Hauptbuchhalter und organisierte die Buchhaltung. Diese Gesellschaft ging ebenfalls längst Pleite. Das lag aber nicht an mir.

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