Nach Mitternacht erst komme ich aus Tripoli in einem kleinen Opel-Bus in Bengasi an. Die Fahrt über eine Strecke von 1.200 km hat mir Amer Izzawi bezahlt, der in Tripoli eine Reiseagentur betreibt. Mangels besserer Unterkunft wird in einer Garage geschlafen.
2. Dezember, Mittwoch
Bengasi wurde im 2. Weltkrieg völlig zerstört. Die meisten Häuser sind neu. Von der Altstadt ist wenig geblieben. Mehr als einen kurzen Rundgang ist die Stadt mir nicht wert. Dann schultere ich den Rucksack und marschiere zur Ausfallstraße. Gegen Mittag hält ein Jeep (Landrover) und nimmt mich die 300 km nach Derna mit. Unterwegs steigt Karl zu, ein kanadischer Kunststudent, der wie ich mit seinem Rucksack unterwegs nach Egypten ist.
Bald hinter Bengasi verläßt die Straße die Wüstenlandschaft. Man fährt über ein fruchtbares Hochplateau, auf dem Bäume, Felder und Kühe keine Seltenheit sind. Bei Derna geht es dann auf steilen Serpentinen wieder zum Meer hinab.
Karl |
Karl, der Kanadier, und ich beschließen, gemeinsam weiter zu trampen. Bei der Ankunft in Derna ist es aber schon Abend. Der Verkehr läßt nach. Tobruk, unser Tagesziel, können wir nicht mehr erreichen.
Auf der Suche nach einer billigen Bleibe landen wir im Polizeirevier, wo man für uns einen sauberen Fußboden und fließendes Wasser zur Verfügung hat.
3. Dezember, Donnerstag - Bengasi-Tobruk = 480 Km
Karl und ich bedanken uns bei den Polizisten für die kostenlose Unterkunft. Mit einem LKW und einem Kranwagen der Royal Air Force von Great Britain schaffen wir am Vormittag ganze 20 km. Dann erwischen wir einen PKW, der uns bis Tobruk bringt.
Wie Bengasi besteht auch Tobruk praktisch nur aus neuen Häusern. Der Krieg muß hier eine einzige Trümmerlandschaft hinterlassen haben. Die Stadt liegt an einem Hang und blickt auf einen sehr hübschen Naturhafen hinab. Auf der anderen Seite der Bucht steht wie eine Trutzburg auf einem Berg das deutsche Kriegerdenkmal. Vier hohe Mauern bilden ein Quadrat mit 80 m Seitenlänge, an dessen Ecken je ein runder Turm herausragt. In der Mitte des Innenhofes hat man unter Marmorplatten die Gefallenen bestattet. Ringsum an den Wänden stehen die Namen der hier begrabenen Soldaten. Gleich in der Nähe sind auch ein englischer und ein französischer Soldatenfriedhof. Ringsum wüstenartige Kies- und Buschlandschaft und kahle Höhenzüge. Was für eine Einöde zum Kämpfen und Sterben ! Welch menschlicher Schwachsinn wütete hier, wo die Natur der wahre Feind ist. Es ist als sei die ganze Gegend im Tode erstarrt.
Auch der Verkehr scheint erstarrt zu sein. Erst am späten Nachmittag bekommen Karl und ich einen Rot-Kreuz-Wagen, der uns bis zur lybischen Grenze mitnimmt. Wir finden auch noch ein Auto, das uns die 15 km durch das Niemandsland bis zur egyptischen Seite befördert. Dort ist eine Abfertigung nicht mehr möglich, weil die Zollbeamten bereits schlafen. So übernachten wir auf einem Schulhof in einer Waschanlage. Um uns sorgen Sturm und Sandböen für die Nachtmusik.
4. Dezember, Freitag - Tobruk-Marsamatru=370 km
Es wird ein recht abwechslungsreicher Tag. Zunächst bekommen wir einen LKW, der uns etwa 50 km in Richtung Marsamatru mitnimmt. Dann hält er an, mitten in der Wüste. Wir müssen samt Rucksäcken absteigen. Der LKW fährt auf einer Sandpiste in die Wüstenlandschaft hinein. Wir stehen verlassen mitten in der Gegend.
Wenig später verdunkelt sich der Himmel. Es wird richtige Abendstimmung, und Sturm kommt auf. Überall setzt sich der Sand in Bewegung. Wie Nebelschwaden ziehen die Sandwolken sich zusammen. Im Nu sind wir mitten drin. Es gibt nirgends einen Platz, an dem wir in Deckung gehen könnten. Ich ziehe den Hut über die Stirn und binde mir ein Taschentuch vor Mund und Nase. Trotzdem atme ich Sand, beiße Sand und spucke Sand. Die Sicht beträgt nur noch wenige Meter. Dann habe ich auch die Augen voll Sand und sehe überhaupt nichts mehr. Wir kauern neben den Rucksäcken und ziehen die Köpfe ein.
Nun kommen Blitz und Donner. Es beginnt zu regnen. Der Sand wird feucht und sinkt langsam zur Erde nieder. Jetzt will ich fotografieren – und fluche wie ein Rohrspatz, weil in beiden Apparaten die Filme abgeknipst sind. Also bei Sandsturm und Regen Filmwechsel ! Aber wie ? Schließlich finde ich im total versandeten Rucksack einen Plastikbeutel. Ich stecke die Fotoapparate hinein und wechsle mit einer Hand den Film während ich mit der anderen den Beutel zuhalte. Dann bin ich mit mir und dem Sandsturm zufrieden. Hoffentlich werden die Fotos gut !
Nach dem Sandsturm. Rucksack mit Poncho, Luftmatratze und Schlafsack. Pistole in der Brusttasche. Kobrahaut am Hut. |
Der Regen entwickelt sich zum Glück nicht zum Wolkenbruch. Er sorgt nur für eine angemessene Durchfeuchtung der Kleidung. Bald hat sich der Himmel beruhigt. Am Horizont wird es hell. In allen Blautönen schimmern Wolken am Himmel, und der Wind treibt die Gewitterwolken auf das nahe Meer hinaus. Dort grummelt es noch eine Weile während die sinkende Sonne einen Regenbogen über die Wüste malt. Plötzlich kommt Leben in die Landschaft. Die Dornenbüsche werden grün. Der Boden leuchtet goldig gelb. Vögel flattern auf, zwitschern dem Abend entgegen.
Beduinen |
Auf der Straße kommen auf Eseln zwei Beduinen herangeritten. Bei unserem Anblick scheint sie Mitleid zu packen. Sie sammeln Gestrüpp, zünden ein Feuer an und kochen für die “Beduini Alemani” (deutsche Beduinen) Tee. Dazu gibt es Fladenbrot und Erdnüsse. Das ist die Gastfreundschaft der Wüste ! Schließlich sollen wir noch auf den Eseln mit ihnen reiten. Das Trampen auf Eseln wäre zwar eine neue Variante. Aber Karl und ich warten lieber auf die Autos, die uns aus der Wüste bringen sollen.
Schon ist es dunkel. Wir richten uns seelisch auf eine Übernachtung im Wüstensand ein. Da taucht wie eine Fata Morgana am Horizont wieder unser LKW von heute morgen auf. Wie ein altersschwaches Kamel torkelt er auf dem Wüstenpfad dahin, quält sich auf die Straße herauf. Er ist haushoch mit Säcken beladen, die Steine und Sand enthalten, sicher für Befestigungen an der Grenze zu Israel. Im Fahrerhaus ist kein Platz. So schultern wir die Rucksäcke und erklimmen über die Motorhaube die Ladung. Dann verankern wir die Rucksäcke und uns selbst so gut wie möglich an den Haltetauen. Der Fahrer stellt uns noch zwei Decken zur Verfügung, und schon holpert das Dieselkamel mit uns durch die Nacht. Mehr als 20 km pro Stunde schafft der Wagen nicht. Und bis Marsamatru sind es 150 km ! Das sind etwa acht Stunden Fahrt !
Dieselkamel |
Aber wie gemütlich kann man auf Steinen liegen ! Alles ist in Bewegung: der Wagen, die Gedanken, die Erde auf der man rollt, der Mond und die unendliche Weite des gestirnten Himmels. Wie fremdartig und klein wird das Leben in der Stille der Nacht, in der grenzenlosen Ferne einer leblosen Wüste, unter der majestätischen Höhe des Sternenhimmels ! Karl hat eine halbe Flasche Brandy dabei. Die genießen wir Schluck für Schluck. Zwischendurch singen wir Wanderlieder – auf Deutsch und Englisch: “Wilde Gesellen, vom Sturmwind umweht, ehrlos bis unter die Hoden” (bis unter den Boden).
Wir müssen die Köpfe niedrig halten. Ab und zu hängen Telegrafendrähte über die Straße, die uns vom Wagen reissen könnten. Und einschlafen dürfen wir auch nicht. Sonst könnten wir von unserem Hochsitz rutschen und unsanft auf dem Asphalt landen.
Noch ist es Nacht. Noch rollt der LKW. Zweimal ist Pause. In Blechhütten am Strassenrand spendiert man uns Tee. Dazu essen wir Fladenbrot, Bohnen und Thunfisch. Ausserdem malt der LKW-Fahrer mit dem Zeigefinger ein Hakenkreuz in den Sand und berichtet von den Heldentaten des General Rommel. Als Deutscher ist man hier wahrhaftig beliebt.
Schließlich kommen wir in Marsamatru an. Den Rest der Nacht verschlafen wir wieder einmal auf dem Fußboden einer Polizeistube.
Gleich morgens soll es in Richtung Alexandria weitergehen. Aber es existiert kein Verkehr. Den ganzen Tag über hängen wir am Ortseingang fest. Das ist langweilig. Aber ein Tramp muß warten können. Erst am Nachmittag hält ein Jeep, der uns die 280 km bis Alexandria fährt. Gegen Abend treffen wir dort in der Jugendherberge ein.
Ruhetag. Viel Schlaf. Erholen uns von den Strapazen der Reise. Aber keine Weihnachtsgefühle.
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